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Die Forderung nach einer 4-Tage-Woche sorgt für kontroverse Diskussionen und wirft Fragen auf. Gehen wir der Sache nach.

Im Jahr 1850 mussten Männer, Frauen und sogar Kinder noch 82 Stunden pro Woche arbeiten. Im Laufe der Zeit verringerte sich die Arbeitszeit auf 48 Stunden im Jahr 1918 und schließlich auf 40 Stunden im Jahr 1975. Seit 1985 gibt es in manchen Branchen die 38 Stunden Woche. Seither hat sich nichts mehr getan bei den Arbeitszeiten. Arbeit ist von hoher kultureller Bedeutung für uns. Der traditionelle Begriff von Arbeit wird oft mit Fleiß und langen Arbeitszeiten gleichgesetzt - in Japan ist es so extrem, dass es ein eigenes Wort für den Tod durch Überarbeitung gibt. "Karoshi".

Ich erinnere mich gut an frühere Chefs und frühere Unternehmen, wo die leitenden Mitarbeiter:innen gerne betonten, dass sie sicher auf 60 bis 70 Stunden in der Woche kämen - viele gingen an einem Sonntag gern ins Büro, weil sie dort , wie sie sagten, wenigstens in Ruhe einige Dinge erledigen konnten.

Dabei wissen wir es aus dem ersten Semester Volkswirtschaft: 

Viel Output ist sehr gut - aber bei möglichst geringem Input.

Das nennt man dann Produktivität, und durch diese immer höher werdende Produktivität ist eine Verkürzung der Arbeitszeit erst möglich!

Ein paar Vorreiter:innen haben es trotzdem, entgegen allen Widerständen, ausprobiert:


Island

hat 2500 Beschäftigte unterschiedlicher Branchen 4 Jahre lang nur 35 Stunden bei gleichem Lohn arbeiten lassen - mit erstaunlichen Resultaten: Die Produktivität stieg bzw. blieb gleich, die Krankenstände sanken, die Angestellten fühlten sich wohler - seither ist für 86% der Arbeitnehmer:innen in Island dieses Modell die Regel.

Japan

Microsoft Japan hat 2019 die 4 Tagewoche implementiert - mit erstaunlichen 40% mehr Produktivität im Vergleich zum Vorjahr.

Großbritannien:

In einem sechsmonatigen Versuch mit 61 britischen Unternehmen und knapp 3.000 Mitarbeitern wurde die Arbeitszeit um 20 Prozent reduziert, ohne Lohnkürzungen vorzunehmen. Die Ergebnisse zeigen eindeutig positive Effekte: 71 Prozent der Beschäftigten leiden weniger unter Burnout, 39 Prozent berichten von geringerem Stress, die Zahl der Krankentage ging um 65 Prozent zurück, und die Fluktuation sank um 57 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Überraschenderweise gab es kaum Produktivitätseinbußen, und die Einnahmen der Unternehmen stiegen sogar um durchschnittlich 1,4 Prozent. Diese Erkenntnisse widerlegen Bedenken, dass Arbeitszeitverkürzung zu geringerer Produktivität führt. Der Soziologe Brendan Burchell von der University of Cambridge, der die Studie leitete, betont die erfolgreiche Kombination von Arbeitszeitverkürzung und Produktivitätssteigerung.

Weitere großangelegte Pilotprogramme laufen derzeit in Spanien, Portugal, Australien, Irland und in Belgien.

Österreich

Bei uns gibt es kleine, aber feine Ansätze: Eine Online Marketingagentur bietet generell die 30 Stunden Woche an, ein Optiker hat auf Terminvergabe bei Brillenanpassungen umgeschwenkt und muss daher insgesamt weniger lang offen haben und kann am Samstag schließen, eine Tischlerei "verdichtet" in den vier Arbeitstagen auf 10 Stunden und ermöglicht so den Arbeitern ein langes Wochenende und erspart ihnen zwei Pendelfahrten.

Die Vorteile der 4 Tage Woche liegen auf der Hand

Egal ob man die Variante "80% Arbeit 100% Lohn" oder "100% Arbeit auf 4 Tage verdichtet" wählt:

- Höhere Produktivität durch verdichtete Arbeitszeit durch die Vermeidung von Steh-bzw. Leerzeiten
- Mehr Lebensqualität. Weniger Stress, mehr Erholung, mehr Familienzeit
- gesündere Arbeitnehmer:innen = weniger Krankenstände
- Höhere Mitarbeiterbindung und Zufriedenheit
- Weniger Fluktuation
- Steigerung der Attraktivität des Unternehmens
- Kostenersparnis
- Umweltfreundlich: Weniger Emissionen durch weniger Pendlerverkehr
   (für England würde dieser eine Tag weniger den CO² Ausstoß um ein Fünftel senken!)
- Weniger Stau = Treibstoffersparnis

Drei wesentliche Punkte müssen jedoch erfüllt sein, damit die diversen 4 Tage Modelle funktionieren:

- Der traditionelle, kulturelle Begriff von "Arbeit" muss mit den Mitarbeiter:innen neu gedacht bzw.    überdacht werden
- Die Prozesse im Unternehmen müssen schlank und effizient aufgesetzt sein
- Das persönliche Zeitmanagement muss passen bzw. angepasst werden

Eine ältere Kollegin erzählt von einem Ex-Chef, der ihr, als sie ganz jung und frisch im Management war und sich, so wie sie es gelernt hatte, allezeit lange da und arbeitend, also "fleißig", zeigte, eine wichtige Lektion erteilte. Er erschien um 18.00 Uhr in ihrem Büro, baute sich vor ihr auf und sagte: "Mädel, du gehst jetzt heim. Wenn du deine Arbeit nicht von acht bis um sechs schaffst, machst was falsch. Überleg dir, WAS." In dem einen Satz waren alle drei Punkte abgehakt: Lang da sein heißt noch lange nicht "fleißig" oder "gut" sein. Wenn ein Arbeitsprozess mehrmals unterbrochen, weitergeleitet, neu angefangen, wiederholt wieder angegriffen werden muss - ist der Prozess falsch. Dann braucht es jemanden, der sich das von außen anschaut und den Prozess geradezieht und/oder optimiert. Und: das eigene Zeitmanagement darf und soll man sich immer wieder anschauen. 

Verkürzte Arbeitszeit schwächt Sozialstaat und Wohlstand?

Ein häufiges Gegenargument ist, dass eine verkürzte Arbeitszeit nicht finanzierbar sei. Das können wir uns doch gar nicht leisten, oder? Jetzt arbeiten die Leute doch ohnehin schon eineinhalb Stunden weniger als vor der Pandemie, wie die WKO in einer Aussendung moniert - eine Kürzung der Arbeitszeit würde nämlich den Sozialstaat und den Wohlstand langfristig zusammenbrechen lassen, denn das Arbeitsvolumen sei deren Fundament. Dem widerspricht das Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO). Eine aktuelle Studie habe gezeigt, dass maximal ein Rückgang des BIP um 0,9% zu erwarten sei - wenn nicht voller Lohnausgleich geleistet würde, nur 0,8%. Stundenlöhne und Preise, aber auch die Beschäftigung und Produktivität steigen in diesem Modell - während das Budgetdefizit zurückgeht. All dies bewegt sich im einstelligen Bereich. Die Daten aus der Mikrozensus Arbeitskräfteerhebung 2019, auf der die WIFO Studie und das Modell beruht, zeigen es klar: Jeder fünfte Beschäftigte will eine Verkürzung seiner Arbeitszeit um 3,5%, nur wenige möchten mehr arbeiten. Letztendlich würden sich die jungen, produktiven und innovativen Firmen durchsetzen, sagt z.B. der AK Chefökonom Marterbauer - denn sie werden auf die Wünsche der Beschäftigten eingehen. Und wer auf die Wünsche seiner Beschäftigten eingehen kann, hat produktive, loyale und motivierte Mitarbeiter:innen - was immer schon der Garant für einen Unternehmenserfolg war.

Nachteile?

Lassen Sie mich Andrew Barnes zitieren, den Direktor von Perpetual Gardens, einer Treuhandgesellschaft in Australien und Neuseeland und Aktivist bei "4 Day Week Global": "Was ist das Schlimmste, das Ihnen passieren kann, wenn sie die 4 Tage Woche probieren und scheitern? Sie haben eine Belegschaft, die begeisterter, ermächtigt und engagierter ist und die erkennt, dass sie Ihnen nicht egal ist. Also: Haben Sie Mut!"



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