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Kennen Sie das? Sie treffen einen Bekannten oder einen Freund, der einen, wie soll man sagen - etwas gedämpften Eindruck auf Sie macht. Sie fragen nach und der Freund erklärt, seine Partnerin habe ihn verlassen. Nach Jahren. VÖLLIG ohne Anzeichen. Ganz plötzlich. Ohne, dass jemals irgendwas gewesen sei.

Sie nicken begütigend und ersparen sich die Erklärung, dass jeder, aber absolut jeder, das schon kommen gesehen hatte. Fraglos sei sie "mit der Gesamtsituation unzufrieden" gewesen, oder? Dann gehen Sie weiter, erleichtert, weil Sie a) sich das Gejammer nicht mehr anhören müssen und b) weil Sie vor solchen Dingen verschont geblieben sind.

Sind Sie das? Ehrlich jetzt, Hand aufs Herz: Wie oft wurden Sie schon von z.B. Mitarbeiter:innen "verlassen"? Von Menschen, die Sie gut einzuschätzen wussten (offenbar nicht). Von tüchtigen, zuverlässigen Stützen des Betriebes, die - für Sie - plötzlich und ohne Anzeichen "ein besseres Angebot" annahmen. 


Natürlich führt Ihre Personalabteilung ein Austrittsgespräch, in dem die Gründe für das Verlassen der Firma erfasst werden ("Wissen Sie, ich war mit der Gesamtsituation unzufrieden!"), aber außer, dass alle danach ein bissl beleidigt sind, passiert nicht viel. Warum ist grad der X oder die Y weg? Sie wissen es einfach nicht.

Andere, die von draußen auf die Situation schauen und daher als Unbeteiligte weder Kränkung noch Unmut verspüren, würden Ihnen aber sagen: 
Das haben wir kommen sehen. Wissen Sie, jede Ihrer Handlungen hat Auswirkungen. Vor allem aber: Ihr Nicht-Handeln.

Es gibt unzählige Studien zu den Gründen, warum Mitarbeiter ihre Firmen verlassen und manche sind schon ein paar Jahrzehnte alt - aber sie sagen alle dasselbe: Zu wenig Anerkennung. Als Person oder für die Leistung. Es ist nicht das Gehalt, es sind nicht die Fringe Benefits, es sind immer die persönlichen Beziehungen. Mitarbeiter:innen verlassen also nicht das Unternehmen, sondern ihre Führungskräfte - so wie man einen Partner verlässt. Niemand würde auf die Idee kommen zu sagen, er oder sie habe ihr Haus, ihre Sparbücher, ihre Familie verlassen - es ist der Partner, der verlassen wird.

In einem Workshop beschwerte sich ein Mitarbeiter heftig über seinen Chef - er hat eine Kur verschrieben bekommen (nach 25 Jahren das erste Mal!) und ihm die Einladung der Krankenkassa zu deren Antritt vorgelegt. Der Chef hat sich darüber wahnsinnig aufgeregt, dass er ihm das "erst jetzt" und "so kurzfristig" sagt. Der Chef hat ihm auch, als "Strafe", umgehend eine Dienstreise ins Ausland gestrichen. Mit der Bemerkung, dass er in der Zeit dann möglichst nicht "krank" werden solle, denn das würde er sich dann genau ansehen. 
Der Sermon endete mit den Worten: "Ich kann ja auch gern gehen. Anderswo suchens eh Leute wie mich. Oder ich geh in Bildungskarenz, weil jetzt kann er mich… Dabei fühl ich mich hier eigentlich wohl mit der Arbeit und mit den Kollegen!"

Die Reaktion des Chefs tut fast körperlich weh - man begreift unmittelbar, wie sich die langjährige, offenbar gute Arbeitskraft fühlen muss.

Studien von Gallup zeigen ja, dass nur 18% der Führungskräfte Talent zur Führung haben - dieser Chef gehört fraglos nicht dazu. Er ist einer derjenigen, die aus den falschen Gründen in eine Führungsposition kamen - er war der firmenälteste Experte und man "konnte ihn nicht übergehen". 
Es ist wie mit der Elternschaft: Nicht jeder, der es biologisch kann, sollte es auch sein.

Da es vielen Führungskräften an guten Role-Models fehlt, perpetuieren sie die schlechte Führungsarbeit über Generationen- sie haben ja nie gesehen und gespürt, wie es besser gehen könnte.

Das bekannte "Peter Prinzip" postuliert ja, dass Menschen bis zu ihrer fachlichen und menschlichen Inkompetenz befördert werden, was hier, leider, gelungen zu sein scheint.

Hartnäckig hält sich die Praxis, die beste Fachkraft oder den verdientesten Mitarbeiter "zur Belohnung" zur Führungskraft zu machen - wo sie furchtbar scheitern, denn es fehlt ihnen am Wissen, wie man Menschen führt. Woher sollen sie es auch wissen? Sie haben meist am schlechten Beispiel gelernt ("Nix gsagt is Lob gnua!"), sie nehmen zwar die Funktion an, finden aber nicht in die Rolle. Diese setzt nämlich die Fähigkeit voraus, Vertrauen und Verbundenheit zu schaffen - indem man Mitarbeitenden zuhört, sie ernst nimmt, authentisch und, vor allem, klar ist. Sag, was du tust und tu, was du sagst.

Der Chef des Mitarbeiters hat diesen schwer gekränkt - erstens, weil er nicht klar kommuniziert hat, worüber er sich so ärgert. Dann hätten beide das Missverständnis ausräumen können - dass man sich nämlich den Antritt einer Kur nur sehr bedingt aussuchen kann und der Kollege quasi in der Sekunde, als er das Schreiben erhalten hatte, dieses auch vorgelegt hat. Zweitens wegen der Unterstellung, die geplante Dienstreise wäre ein privates Vergnügen des Mitarbeiters.
 Zu allem Unglück gehört der Chef wohl zu den Menschen, die einen Irrtum nicht zugeben können.

So wird die wechselseitige Kränkung bestehen bleiben und der Mitarbeiter - der eine erstklassige Fachkraft ist - wird bald zum Mitbewerb wechseln. Wenn er befragt wird beim Austritt, wird er vermutlich irgendwas Allgemeines sagen - dass er mit der Gesamtsituation irgendwie unzufrieden ist. Nicht sagen wird er, dass er zu wenig Anerkennung für seine Person und für seine Leistung bekommen hat, weil das wird ihm, als älterer Mann, peinlich sein. 
Auch nicht ansprechen wird er, dass ihn vor allem die Unterstellung des Chefs, dass er sich quasi zusätzliche "Freizeit" erschleichen wollte, tief getroffen hat.

Solche Befindlichkeiten sprechen oft gerade Männer nicht aus und auch Frauen hüten sich davor, weil man ihnen schnell vorwirft "schon wieder so emotional" zu reagieren. Darum drehen sich Mitarbeiter:innen irgendwann einfach um und gehen. Der Chef aber wird aus allen Wolken fallen - völlig ohne Anzeichen hat wieder jemand das Unternehmen verlassen!

Hoffen wir, dass ihm dann jemand sagt, dass der Mitarbeiter IHN verlassen hat - und hoffen wir weiters, dass er mutig ist. Denn, um Churchill zu zitieren: "Es braucht Mut, um aufzustehen und zu sprechen - und es braucht Mut, um sich hinzusetzen und zuzuhören."
Immerhin haben, laut Gallup neben den 18% bereits fähigen Führungskräften, weitere 20% die Chance, sich zu entwickeln.
Weil sie zuhören - und Sie?

Quellen:
Nink Marco: Engagement Index - Die neuesten Daten und Ergebnisse der Gallup-Studie, Redline Verlag, 2018, S 116

Beck Randall und Harter James (2014): Why Good Managers are so rare. In: Harvard Business Review. 13.3.2014. Abgerufen unter: https://hbr.org/2014/03/why-good-managers-are-so-rare (10.9.2022)

Tödtmann Claudia (2021): Ja es ist wahr, sagt Marco Nink von Gallup im Interview: Zufriedene Mitarbeiter bescheren Unternehmen mehr Umsatz und Gewinn. Wirtschaftswoche Managementblog. Abgerufen unter: https://blog.wiwo.de/management/2021/02/28/ja-es-ist- wahr-sagt-marco-nink-von-gallup-im-interview-zufriedene-mitarbeiter-bescheren-unternehmen- mehr-umsatz-und-gewinn/ (30.9.2022)



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