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Über manche beiläufigen Gespräche denke ich lange nach – erst vor ein paar Tagen wieder, als ich eine Klientin von früher zufällig traf. Angestrengt sei sie halt, sagte sie auf die Frage nach ihrem Befinden. Aus ihrer Bereitschaft, einen ausgefallenen Kollegen gelegentlich zu ersetzen, sei eine dauerhafte zusätzliche Belastung geworden, auch ihre sonstigen Aufgaben würden sie sehr fordern – seit Monaten habe sie kein freies Wochenende - es werde eben immer mehr!

Und jetzt sei sie auch noch Mentorin für so eine Neue, mit der sie nicht zurecht käme. „Wissen Sie“, sagte sie beinahe verächtlich, „die sind nicht so wie wir, die wollen ja jetzt alle Work-Life Balance!“ Sie eilte davon, noch bevor ich „Ja eh, und warum auch nicht? “ sagen konnte.

Was ist in den letzten Jahrzehnten geschehen, seit wir unsere ersten Jobs hatten? Das ist ja nicht die erste Person in meinem Umfeld, die sich so darüber äußert. Zweifellos sind sie nicht „wie wir“, dazu brauchen wir uns nur unsere eigenen Kinder anzuschauen. Und Ist es wirklich so, dass „die Jungen nicht mehr arbeiten und nur Spaß wollen?“ Ich bemerke an mir selbst, dass es sich um ein Reizthema handelt.

Wie sind denn „wir“? Loyalität und Strebsamkeit, Einsatzwille und der Wunsch, es zu etwas zu bringen fallen mir sofort ein. Arbeitstugenden aus dem Katalog. Wir sind die Freude jedes Arbeitgebers. Nicht so sehr unserer Ärzt:innen, denn unsere unbedingte und dauernde Einsatzbereitschaft schlägt sich nieder. Wir haben uns ganz schön die Gesundheit ruiniert mit den Burn-outs, den Infarkten, der ungesunden Ernährung und dem wenigen Schlaf. Das, wozu wir es gebracht haben, können wir kaum genießen, weil wir ja arbeiten müssen. Unsere Kinder hatten es besser als wir, das Ziel haben wir erreicht, aber wir haben sie kaum aufwachsen sehen und auch unseren Partnern können wir viel geben – außer unserer Zeit. Die Generation der „Jungen“, die jetzt zu arbeiten beginnt, hat uns dabei zugesehen. Was soll für sie an unserem Beispiel genau erstrebenswert sein?

Ein Konflikt auf Werteebene?


Konflikte auf Werteebene kann man nicht verhandeln und beilegen. Sie sind unlösbar. Haben wir mit den Jungen einen solchen Konflikt? Wenn ja, wie würde er heißen? Arbeitsleben gegen Genussleben? Gehts etwa um die Frage: Arbeite ich, um zu leben oder lebe ich, um zu arbeiten?

Die Frage ist gefährlich falsch formuliert. Wenn ich nur arbeite, um (über)leben zu können, ist das furchtbar für mich, weil ich 40 Jahre meines Lebens mit etwas verbringe, das meinem Tun keinen Sinn verleiht und mir weder Genuss noch Freude bereitet. Ebenso furchtbar aber ist es für meinen Arbeitgeber, weil ich nicht besonders gut sein werde bei etwas, das mich nicht freut.

Die „Jungen“ formulieren das ganz klar. Sie wollen eine sinnvolle Tätigkeit ausüben, mit der sie sich identifizieren können. Wenn schon hackeln, dann für etwas Gescheites. Die jungen Arbeitnehmer:innen verkaufen ihre Lebenszeit nicht mehr irgendeinem Arbeitgeber. Sie legen Wert auf eine wertschätzende Unternehmenskultur, ein gutes Arbeitsklima mit persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten - und ehrlich, ist das nicht das, was wir uns, neben aller Loyalität zum Unternehmen und bei allem Leistungswillen, immer gewünscht haben?

Wer von uns hatte nicht den Traum etwas aus sich zu machen, zu wachsen, um nur mehr zu tun, was er oder sie „wirklich will“- warum konnten wir uns eigentlich diesen Gedanken nur abseits unseres Arbeitsalltages vorstellen?

Und weil Jugend fordern darf und soll, weil sonst auf der Welt nichts weitergehen würde, verlangen sie auch größtmögliche Freiheit und Flexibilität – bei größtmöglicher Verbundenheit zum Unternehmen.

Wenn die Jungen das alles wollen, dann haben sie recht. Sie wollen das, was Alfred Adler, der Individualpsychologe, vor über 100 Jahren an seine Tochter schrieb: Er wünsche ihr, dass sie „die drei wesentlichen Lebensaufgaben: Arbeit, Freundschaft, Liebe für sich zufriedenstellend lösen“ könne.

Unternehmen sind gut beraten, die „Lebensaufgabe Arbeit“ neu zu denken.



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